Als Elfjähriger merkte ich im Jahre 1970 schon zu Beginn meiner jahrelangen Radfahrsucht, dass hohe Leistungen besonders in starken Steigungen das Atmen durch die Nase unweigerlich erforderlich machen, und zwar sowohl für die Leichtigkeit der Muskulatur und die Ausdauer als auch für die im öffentlichen Straßenverkehr erforderliche Klarheit der Sinne. Ich hätte sonst wohl kaum während sieben Jahren stets über 20.000 Kilometer pro Jahr geschafft. Dabei hatte ich anfangs den Mund hauptsächlich wegen der Insekten zugemacht
Im Jahre 1996 verhalf ich dem Produktionsplaner meines damaligen (1994 bis 2012) Arbeitgebers zu dieser Erkenntnis, der zu dieser Zeit um die dreißig Jahre alt war und regelmäßig über dreißig Kilometer einfache Fahrt zur Arbeit radelte. (Leider verließ er das Unternehmen 1998.) Er kam morgens wie immer völlig gerädert an und war entgegen seiner im allgemeinen sehr guten Umgänglichkeit unausstehlich. Wenn ich von ihm morgens eine Auskunft hinsichtlich der Produktionsplanung brauchte, winkte er zunächst ab, weil er den Bildschirminhalt kaum vernünftig lesen konnte.
Klar war das für mich als Betriebsleiter ein nur schwer tragbarer Zustand. Weil er auch nach dem Duschen noch immer durch den Mund atmete, wies ich ihn eines Morgens darauf hin. Ich erklärte ihm, dass nur das Ein- und Ausatmen durch die Nase bestmöglichen Sauerstofftransport gestattet und das Abatmen des Kohlendioxids durch den Unterdruck ermöglicht. Letzteres geschieht rein physikalisch und ist notwendig, um Übersäuerung zu verhindern. Deshalb riet ich ihm, das auszuprobieren und selbst zu spüren, wie binnen weniger als einer Minute die Beine bei gleichbleibender Belastung wieder leichter werden.
Am nächsten Morgen kam er lächelnd in der Firma an. Er berichtete mir freudestrahlend, wie er sich am Vorabend in einer unter Radfahrern berüchtigten, mehrere Kilometer langen Steigung auf seinem Rückweg an unser Gespräch erinnert hatte. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit atmete er ab dann durch die Nase und spürte, wie die Beine in der Steigung leichter wurden. Er erzählte auch, wie sehr sich seine Frau gewundert habe, weil er so entspannt und gut gelaunt nach Hause kam.
In den folgenden Wochen und Monaten schüttelte er immer wieder lächelnd den Kopf und wunderte sich, dass er nicht schon längst selbst darauf gekommen war. Seine Unausstehlichkeit und seine Sehstörungen am Morgen in der Arbeit waren Vergangenheit.
Als ich nach dessen Mitnahmeselbstmord Bilder von Andreas Lubitz beim Sport sah, wusste ich, wo seine Sehstörungen herkamen. Leider hat ihm hat das keiner gesagt, und es hat weitere 149 Menschen das Leben gekostet.
Bei Covid-19 und generell bei künstlicher Beatmung ist das Umgehen der Nasenschleimhaut ein ernstes Problem, weil das durch sie enzymatisch bereitgestellte, sehr kurzlebige Stickstoffmonoxid den Lungenbläschen fehlt. Dort ist es für den Sauerstofftransport ebenso notwendig wie für die Erweiterung der Arterien und die Immunabwehr. Das wurde erst in den 1980-er Jahren entdeckt, und 1998 gab es einen Medizin-Nobelpreis dafür.
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